Zwei Mal China und zurück: Trumps Wahl bringt Bewegung, aber keine grundsätzliche Veränderung in die Taiwanfrage

von Tobias Adam

Everything is under negotiation, including ‘One China’“ [1] – so der Paukenschlag Donald Trumps Mitte Januar, mit dem er die bis dato geltende Anerkennung der Volksrepublik als Alleinvertreterin Chinas durch die USA zur Disposition stellte. Peking war über diesen Vorstoß freilich wenig erfreut. Denn in den Augen des Festlandes ist der Umstand, dass es nur ein China unter Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gibt und Taiwan integraler Teil dieses einen China ist, kein Gegenstand offener Verhandlungen, sondern eine historisch begründete Tatsache [2]. 

„Auf der Welt gibt es nur ein China“

Die aktuelle Lage erschien auch daher brisant, weil sie ein Ausbrechen aus dem bisherigen Pfad relativer Stabilität im Umgang der Akteure miteinander bedeutete. Trumps streitbare politische Ansichten und seine Persönlichkeit verstärkten diesen Eindruck noch. Einen ersten Orientierungspunkt in der gegenseitigen Verortung findet man im sogenannten Konsens von 1992. In dieser Übereinkunft zwischen China und Taiwan bekräftigten beide Seiten, dass es „nur ein China gebe, jedoch unterschiedliche Interpretationen über dieses herrschten“ [3]. Sowohl die VR China, als auch das durch die Guomindang (GMD) regierte Taiwan (zuletzt 2008 bis 2016 unter Ma Ying-jeou) konnten mit diesem diplomatischen Bekenntnis zum Ein-China-Prinzip jahrelang gut leben [4]. Und auch die USA, die auf Grundlage des Taiwan Relations Act von 1979 zwar regelmäßig Defensivwaffen an Taiwan lieferten, unterstützten offizielle Unabhängigkeitsbestrebungen des Inselstaates seitdem nicht mehr: “Our longstanding policy on arms sales to Taiwan has been consistent across six different U.S. Administrations“, ging Myles Caggins, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Ende 2015 auf die Waffendeals zwischen Washington und Taipeh ein, fügte aber einschränkend hinzu: „We remain committed to our one-China policy“ [5].

Neues Personal bringt neue Bewegung

Hielt die Obama-Administration noch weiter an der „Ein-China-Politik“ fest, so brachte die Wahl Donald Trumps bereits vor seiner offiziellen Amtseinführung neue Bewegung in die Dreiecksbeziehung. Erste Anzeichen waren sicherlich schon während des Wahlkampfes in seinen Aussagen zu China zu erkennen, bezogen sich jedoch hauptsächlich auf den Handel zwischen den USA und China. Das vielzitierte und -beachtete Telefonat zwischen Trump und der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen im Dezember 2016 war jedoch das erste konkrete Austesten der Grenzen einer potentiellen Repositionierung der USA gegenüber China, bedeutete es doch das erste direkte Gespräch zwischen den Präsidenten beider Länder seit dem Abbruch offizieller Beziehungen zwischen den USA und Taiwan 1979 [6]. Hinzu kommt, dass Tsai, die im Sommer des vergangenen Jahres die Amtsgeschäfte übernahm, im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Ma der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) angehört, welche tendenziell für die Unabhängigkeit Taiwans einsteht. Dass Tsai den Konsens von 1992 bis dato nicht offiziell anerkannt hat (aber auch nicht vollends negiert), ist somit wenig verwunderlich [7]. Pekings Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Schon kurz nach Tsais Amtsübernahme fror man die Kommunikation mit Taipeh ein [8] und stellte klar: “It was the Taiwan side which changed the situation” [9]. Auch das Telefonat zwischen Tsai und Trump blieb mit der Entsendung unter anderem des einzigen chinesischen Flugzeugträgers in die Taiwanstraße nicht unbeantwortet [10]. Weiter verstärkt wurden die diplomatischen Verstimmungen durch Tsais inoffizielle Gespräche beispielsweise mit US-Senator Ted Cruz, den sie in Houston auf dem Rückweg einer Mittelamerikareise Anfang Januar traf [11].

Rhetorische Dynamik nichts Neues

Innerhalb dieses Spannungsfeldes mussten sich die Akteure erst einmal zurechtfinden. China, auf der einen Seite, wich von seinem Standpunkt, es handle sich bei der Taiwan-Frage um eine “innere Angelegenheit“, wie erwartet nicht ab – zu groß ist die Gefahr, mit der Aufgabe Taiwans einen gewaltigen Legitimationsverlust im Inneren zu erleiden [12]. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob sich taiwanesische Unabhängigkeitsbestrebungen und somit die unumkehrbare Aufkündigung des Ein-China-Prinzips tatsächlich an einem Telefonat mit dem (damals) designierten US-amerikanischen Präsidenten sowie Zwischenstopps taiwanesischer Präsidenten in den USA festmachen lassen. Allerdings behält sich China in so einem Fall vor, auch auf „nicht-friedliche Maßnahmen“, wie sie im Anti-Sezessionsgesetz aus dem Jahr 2005 festgeschrieben sind, zurückzugreifen um die Wiedervereinigung mit Taiwan sicherzustellen [13].

Dass diese tatsächlich zum Mittel der Wahl werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt aus drei Gründen eher unwahrscheinlich. Zum einen zeigen Besuche und Telefonate zwar, dass sich Taiwan als international offiziell nicht anerkannter Staat gewisse Handlungsfreiräume schaffen kann. Diese bleiben jedoch in Umfang und Reichweite begrenzt und werden auf der diskursiven Ebene stets durch Gegenreaktionen Pekings beantwortet, verurteilt und somit eingedämmt [14]. Sie sind somit keineswegs mit den Eigenschaften offizieller diplomatischer Beziehungen gleichzusetzen. Zum anderen zeigt die Historie, dass das Beziehungsgerüst zwischen Washington, Peking und Taipeh durchaus in der Lage ist, gewisse Belastungen auszuhalten. So stellte Taiwans ehemaliger Präsident Lee Denghui 1999 in einem Interview mit der Deutschen Welle mit seiner Aussage, zwischen China und Taiwan herrsche ein „besonderes Verhältnis zweier Staaten“ [15], das Ein-China-Prinzip ebenso in Frage wie Chen Shuibian, Präsident Taiwans von 2000 bis 2008 und ebenfalls DPP-Politiker, der u.a. von „einem Land auf jeder Seite“ [der Taiwanstraße] sprach [16] – um nur zwei prominente Fälle zu nennen, in denen das Ein-China-Prinzip herausgefordert wurde.

Trump zieht zurück und Taiwan mahnt zur Besonnenheit

Und auch wenn Trumps Politik in dieser Gleichung in Zukunft als relative Unbekannte für Überraschungen sorgen könnte, so ist es, drittens, dennoch wahrscheinlicher, dass sich am Ende die Forderung nach langfristig friedlichen Lösungen in der Taiwan-Frage (die sich übrigens auch im Anti-Sezessionsgesetz beziehungsweise im Taiwan Relations Act wiederfinden) als weitaus stärker und für die (wirtschaftliche) Entwicklung aller Beteiligter rationaler erweisen, als impulsive und emotionsgeleitete „Spontanpolitik“. Auch wenn festgehalten werden muss, dass das Ein-China-Prinzip – entgegen der Forderung Chinas – durchaus diskutiert und hinterfragt wird, so unterliegen die Akteure jedoch einer gewissen Pfadabhängigkeit, so dass ein Abweichen mit großen Kosten verbunden sein würde. Stark vereinfacht gesagt ist es für die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft weder politisch noch ökonomisch opportun, die Ein-China-Politik zu verwerfen. Und auch Trumps aktuelle Aussagen waren wohl weniger Ausdruck seiner tiefen Verbundenheit zu Taiwan und eines konsistenten Plans, als vielmehr ein kurzfristiges rhetorisches Mittel zum Zwecke der Provokation Chinas. Seine schnelle Rückkehr zur Anerkennung der Ein-China-Politik nur wenige Wochen danach, welche wohl auch mit starkem innenpolitischen Gegenwind in anderen Politikfeldern zu tun hat, zeigt dies deutlich [17]. Und auch die vermeintlich nach Unabhängigkeit strebende DPP-Regierung auf Taiwan, als wirtschaftlich und militärisch schwächster Akteur, scheint die Sicherheiten des eingeschlagenen Weges verinnerlicht zu haben. So formulierte Tsai bereits im Dezember 2016 mit Weitsicht: „One phone call does not mean a policy shift. We all see the value of stability in the region“ [18].

[1] The Guardian (2017) China Warns Trump That Taiwan Policy ‘non-negotiable’. https://www.theguardian.com/
us-news/2017/jan/15/china-warns-trump-that-taiwan-policy-is-non-negotiable
. Zuletzt geprüft: 25.02.2017.

[2] SCIO (1993) Taiwan wenti yu zhongguo de tongyi. http://www.scio.gov.cn/zfbps/ndhf/1993/Document
/308013/308013.htm
. Zuletzt geprüft: 26.02.2017.

[3] Kan, Shirley A. (2014) China/Taiwan: Evolution of the ‘One China Policy’ – Key Statements from Washington, Bejing, and Taipei. https://fas.org/sgp/crs/row/RL30341.pdf. Zuletzt geprüft: 27.02.2017.

[4] Ebenda.

[5] Reuters (2015) Obama Administration Authorizes $1.83-billion Arms Sale to Taiwan. http://www.reuters.com/article/us-usa-taiwan-arms-idUSKBN0TZ2C520151217. Zuletzt geprüft: 25.02.2017.

[6] Kan, Shirley A. (2014) China/Taiwan: Evolution of the ‘One China Policy’ – Key Statements from Washington, Bejing, and Taipei. https://fas.org/sgp/crs/row/RL30341.pdf. Zuletzt geprüft: 27.02.2017.

[7] The China Post (2017) Tsai Rejects Deadline for Accepting ’92 Consensus’. http://www.chinapost.com.tw
/taiwan/china-taiwan-relations/2016/07/23/473168/Tsai-rejects.htm
.  Zuletzt geprüft 26.02.2017.

[8] The New York Times (2106) China suspends Diplomatic Contact with Taiwan. http://www.nytimes.com
/2016/06/26/world/asia/china-suspends-diplomatic-contact-with-taiwan.html
. Zuletzt geprüft: 21.12.2016.

[9] Taiwan Affairs Office (2016) Taiwan Blamed for Suspension of Cross-Strait Communication. http://www.gwytb.gov.cn/en/SpokespersonRemarks/201606/t20160630_11496087.htm. Zuletzt geprüft: 26.02.2017.

[10] The Washington Times (2017) In Test for Donald Trump, Chinese Aircraft Carrier Enters Taiwan No-Fly Zone. http://www.washingtontimes.com/news/2017/jan/11/china-tests-trump-with-taiwan-breach/. Zuletzt geprüft: 26.02.2017.

[11] Deutsche Welle (2017) US-Senator Cruz trifft Taiwans Präsidentin Tsai. http://www.dw.com/de/us-senator-cruz-trifft-taiwans-pr%C3%A4sidentin-tsai/a-37059370. Zuletzt geprüft: 26.02.2017.

[12]  Hieber, Saskia (2011) Chinas Außenpolitik im Wandel. Vom isolierten Entwicklungsland zur Großmacht. Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik. 4, pp. 595-604.

[13] Xinhua (2005) Fan fenlie guojia fa http://news.xinhuanet.com/newscenter/2005-03/14/content_ 2694168.htm. Zuletzt geprüft: 26.02.2017.

[14] Exemplarisch dazu die Reaktion des chinesischen Außenministeriums auf die geplante Teilnahme einer taiwanesischen Delegation an den Feierlichkeiten zur Amtseinführung Donald Trumps. http://www.fmprc.gov.cn/
mfa_eng/xwfw_665399/s2510_665401/t1431978.shtml
. Zuletzt geprüft: 28.02.2017.

[15] Deutsche Welle (2013) ‘Ein China, zwei Staaten’. http://www.dw.com/de/ein-china-zwei-staaten/a-17180562. Zuletzt geprüft: 26.02.2017.

[156 The Washington Post (2007) Interview With Chen Shuibian, President of Taiwan. http://www.china.org.cn/english/2002/Aug/38932.htm. Zuletzt geprüft: 25.02.2017.

[17] The Huffington Post (2017) That Was Fast! Trump Reverses, Supports ‘One China’ Policy In Call With Chinese President. http://www.huffingtonpost.com/entry/trump-reaffirms-support-for-one-china-policy-in-call-with-chinese-president_us_589d3f8ae4b0ab2d2b13d820. Zuletzt geprüft: 26.02.2017.

[18] USA Today (2106) Taiwan: Trump Call was not China ‘Policy Shift’.  http://www.usatoday.com/story/news/2016
/12/06/phone-call-trump-taiwan-president/95027782/
. Zuletzt geprüft: 25.02.2017.

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